Am 6. März 2025 feierte MonaLira sein zweijähriges Bestehen. Der digitale Bibliotheksdienst ermöglicht es Menschen mit Leseeinschränkungen, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften in barrierefreien Formaten zu nutzen.

Blick über die Schulter einer Person, die vor dem Computer sitzt. Auf dem Bildschirm ist ein französischer Text in weisser Schrift und vergrösserten Buchstaben dargestellt.
MonaLira ermöglicht es, Bücher mit individuell angepasstem Layout zu lesen. / Bild: zVG

Von Michel Bossart, Redaktion tactuel

In der französischsprachigen Schweiz ist MonaLira mittlerweile eine der wichtigsten Anlaufstellen für barrierefreie Literatur – und erreicht mit einer jüngsten Neuerung einen bedeutenden Meilenstein: Seit Sommer 2024 ist der Dienst erstmals in einer öffentlichen Schule integriert.

Vom Experiment zum Erfolg
Hinter MonaLira stehen die Vereine Plein Accès und Plein Accès Suisse, die sich für die soziale, kulturelle und berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Céline Witschard und Alex Bernier, die beide selbst mit einer Sehbeeinträchtigung leben, engagieren sich für den Aufbau und die Weiterentwicklung der Plattform.
Die Idee für MonaLira entstand, als die französische Organisation BrailleNet aufgelöst wurde und damit auch die Bibliothèque Numérique Francophone Accessible (BNFA) verschwand. «BrailleNet war die Institution, die in der Frankophonie die meisten Bücher barrierefrei anpasste», erklärt Céline Witschard. «Wir wollten nicht, dass diese Arbeit endet, und haben deshalb schnell gehandelt, um eine neue Struktur aufzubauen, die weiterhin zahlreiche barrierefreie Literaturadaptionen ermöglicht.» Dabei lag der Fokus nicht nur auf der Fortführung bestehender Angebote, sondern auch auf der barrierefreien Bereitstellung komplexerer Werke.

Mehr Freiheit bei der Wahl des Lesegeräts
Das Angebot umfasst mittlerweile über 50’000 Bücher sowie eine Vielzahl an Zeitungen und Magazinen. Gelesen wird mit menschlicher oder synthetischer Stimme, als synchronisierter Audiotext oder in Braille. Seit Januar 2025 sind fast alle Inhalte als barrierefreies EPUB verfügbar, ein Standard, der blinden und sehbehinderten Menschen ein besonders flexibles Leseerlebnis bietet. «Der EPUB-Standard ermöglicht es unseren Nutzerinnen und Nutzern, Bücher auf gängigen Geräten wie E-Readern zu lesen, ohne auf spezialisierte Hilfsmittel angewiesen zu sein», sagt Witschard. «Dadurch gewinnen sie mehr Freiheit bei der Wahl ihres Lesegeräts.» Obwohl die Einführung dieses Formats eine grosse Errungenschaft sei, habe MonaLira bisher nur wenig Feedback erhalten, da die offizielle Kommunikation darüber noch ausstehe. Zukünftig sei geplant, EPUB auch mit Audioinhalten zu kombinieren, um die Zugänglichkeit weiter zu erhöhen.
MonaLira soll bald auch über die DAISY HumanWare-Geräte nutzbar sein. Zudem laufen Gespräche mit EasyReader und Milestone, um weitere Plattformen zu integrieren.

Pilotprojekt mit Signalwirkung
Besonders innovativ ist die jüngste Neuerung: Erstmals wurde MonaLira in einer öffentlichen Schule in der französischsprachigen Schweiz integriert. Die Sekundarschule André-Chavanne in Genf mit fast 100 Klassen bietet seither einen direkten Zugang zu barrierefreien Büchern – eine Premiere für die Region.
«In diesem Fall hat uns die Schule direkt kontaktiert», berichtet Witschard. «Es war für uns daher eher eine grossartige Gelegenheit als eine Herausforderung.» fügt sie lachend an. Auch habe die Unterstützung durch die Schulleitung und das Dokumentationszentrum den Prozess erheblich erleichtert.
Ein wesentlicher Punkt war der Datenschutz. Witschard sagt: «Wir mussten sicherstellen, dass keine sensiblen Schülerdaten ausserhalb der Schule weitergegeben werden.» Die Lösung bestand darin, dass das Bibliotheksteam die Nachweise für Leseeinschränkungen selbst prüft und aufbewahrt. Erst nach dieser internen Verifizierung erhält MonaLira eine Liste mit Namen und E-MailAdressen der berechtigten Schülerinnen und Schüler. Die grösste Herausforderung sei es jedoch, den Service bei Lehrkräften und Betroffenen bekannt zu machen.

Mehr als nur Bücher
Neben Literatur bietet MonaLira ein Statistikmodul für Bibliotheken, das die Nutzung dokumentiert. Ausserdem gibt es für das Personal eine zweistündige Schulung, um den Umgang mit geeigneten Lese-Apps wie EasyReader, VoiceDream oder Thorium zu erleichtern.
Auch über die Schulbibliotheken hinaus gewinnt MonaLira an Reichweite. Besonders erfolgreich ist der literarische Podcast, der als erster seiner Art in einer französischsprachigen Bibliothek allen Interessierten offensteht – unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben. «Unser Podcast ist ein literarisches Format, keine Sendung über Behinderungen», betont Witschard. «Wir möchten jeden Monat eine Autorin oder einen Autor in den Mittelpunkt stellen und ihr oder sein Werk in einem einstündigen Gespräch vorstellen.» Seit Januar 2025 erscheint monatlich eine neue Episode – mit bekannten und weniger bekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern.
«Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass Lesen eine Leidenschaft ist, die alle verbindet, egal wie jemand liest», sagt Witschard. «Barrierefreie Bücher sollten nicht nur in spezialisierten Bibliotheken stehen, sondern auch in den Regalen öffentlicher Bibliotheken.»

Ein Modell für die Zukunft?
Der Erfolg des Projekts in Genf könnte Signalwirkung haben. Sollte sich das Modell bewähren, könnten bald weitere Schulen – vielleicht auch ausserhalb der Westschweiz – MonaLira in ihren Bibliotheken anbieten.
«Unser Service ist bereits international zugänglich», sagt Witschard. «Jede Person, die mit einer Leseeinschränkung lebt und auf Französisch liest, kann MonaLira nutzen, egal wo sie sich befindet.» Zudem sei es das langfristige Ziel, Bücher in weiteren Sprachen bereitzustellen, etwa auf Deutsch oder Italienisch für die Schweiz, aber auch auf Englisch oder Spanisch.

Céline Witschard / Photo: Sébastien Robert

MonaLira und Booxaa – Wo liegen die Unterschiede?

Neben MonaLira existiert mit Booxaa eine weitere digitale Bibliothek, die sich auf barrierefreie Inhalte spezialisiert hat. Booxaa wurde vom Centre Pédagogique pour élèves handicapés de la vue (CPHV) gegründet und konzentriert sich hauptsächlich auf Westschweizer Lehrmittel. Die Plattform richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler von Primar- bis Oberstufe mit speziellen Bildungsbedürfnissen Sie bietet adaptierte PDF-Versionen der Lehrmittel an, die beispielsweise eine optimierte Schriftart mit grösserer Schrift, ein vereinfachtes Seitenlayout, optimierte Bilder, dezimale Seitennummerierung und eine strukturierte Navigation enthalten. Für die Zukunft ist eine Zusammenarbeit zwischen Booxaa und MonaLira geplant, um die Synergien der beiden Systeme zu nutzen.