Delegiertenversammlung 2012: IVG-Revision im Zentrum

von Norbert Schmuck

Über hundert Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedorganisationen konnte Dr. André Assimacopoulos, Präsident des SZB, an der diesjährigen Delegiertenversammlung vom 16. Juni in Bern willkommen heissen. Traditionell fand am Morgen eine Podiumsdiskussion statt, dieses Jahr im Kontext der jahrelangen Diskussion um die Sanierung der Invalidenversicherung (IV) zum Thema «IVG-Revision 6b: eingliedern oder (weg) sparen?».

Nationalrat Christian Lohr: «Die IV muss man im gesellschaftspolitischen Kontext sehen.»

Wie Gerd Bingemann, Interessenvertreter des SZB, bei der Einführung zur Diskussion erläuterte, wurde das Thema bewusst gewählt. Seit nunmehr acht Jahren sei sozusagen ein «Invalidengesetz- Revisions-Schnellzug» unterwegs. Haltestellen dieses Turbozuges seien gewesen: 2004 die 4. IVG-Revision, wo – neben Abstrichen – immerhin die Viertelsrente gerettet werden konnte, 2008 die Fünfte, unter anderem mit dem Ziel «Eingliederung vor Rente», dann 2011 der Beschluss der eidgenössischen Räte, die IV durch eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes zusätzlich zu fi nanzieren und schliesslich 2012 dann die IVG-Revison 6a mit dem umgewandelten Slogan «Eingliederung aus Rente». Zurzeit wird bereits über die «6b» diskutiert, eine massive Abbauvorlage, die laut Gerd Bingemann aber angesichts der Prognosen des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV), dass die IV ab Mitte der
Zwanzigerjahre Überschüsse einfahren werde, völlig überstürzt sei. Die IVG-Revision 6b sei eine Rosskur und allerletzter Teil einer völlig unnötigen Sparübung, meinte denn auch eine der Podiumsteilnehmerinnen, alt Nationalrätin Marie-Thérèse Weber-Gobet, Vorstandsmitglied des Vereins «Nein zum Abbau der IV!», der eigens zur Bekämpfung dieser Vorlage gegründet wurde. Mitglieder im Verein sind auch die Sehbehindertenorganisationen SZB, SBV und SBb. Neben ihr sassen auf dem Podium: Nationalrat Christian Lohr (CVP), Mitglied der Sicherheits- und Gesundheitskommission (SGK-NR) und selbst behindert, Nationalrat Guy Parmelin (SVP), Vizepräsident der SGK-NR sowie Georges Pestalozzi, stellvertretender Zentralsekretär von Integration Handicap und Leiter des Rechtsdienstes für Behinderte. Claude Voegeli, Vize-Präsident des SZB, leitete die Diskussion. Christian Lohr plädierte dafür, dass man die IV nicht immer nur auf fi nanzielle Fragen reduziere: Es sei bitternötig, dass der Bundesrat endlich eine übergeordnete Behindertenpolitik für das Land formuliere. Die Rente sei nur ein Teil der Frage, wie eine Gesellschaft mit behinderten Menschen umgehe.

Guy Parmelin (SVP) sah dies anders. Der Schuldenberg der IV sei immens. IV und AHV müssten längerfristig im finanziellen Gleichgewicht sein. Weber-Gobet widersprach dem heftig. Der Bund habe bereits drei Finanzszenarien erarbeitet, die zeigen, dass die IV spätestens ab 2025 Überschüsse haben wird. Von den geplanten Massnahmen wären durch die Streichung der Renten für Kinder von Elternteilen mit Behinderung 60’000  Familien und – im Hinblick auf die ebenfalls tangierte AHV – etwa doppelt soviel Kinder betroffen. 38 % der IV-Rentenbeziehenden seien jetzt schon auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Diese Revision führe zu mehr Armut unter den Betroffenen, was nicht akzeptabel sei. Georges Pestalozzi stimmte ihr zu. Die Folge dieser Revision sei, dass die Renten kleiner würden. Er zeigte auf, dass der bisherige Abbau des IVDefizits, nicht in erster Linie auf die Sparübungen des Bundes, sondern vor allem auf die geänderte Rechtssprechungspraxis des Bundesgerichts zurückzuführen sei. Dieses anerkenne merklich weniger Behinderungstypen. Dadurch würden deutlich weniger IV-Renten zugesprochen. Er befürchtet, dass das Bundesgericht diese problematische Praxis sogar auf die Sehbehinderung ausweiten könnte.

Aufmerksam verfolgten die Delegierten die Geschäfte.

Claude Voegeli fragte in die Runde, wie es denn bei den jungen Menschen aussehe, die eine Behinderung hätten. «Haben sie eine Chance, eine Arbeitsstelle zu fi nden?». Dies hange stark von der Person ab, die im Betrieb entscheide, ob eine Anstellung zustande komme oder nicht, meint Guy Parmelin. Christian Lohr vermisst die Bereitschaft bei Arbeitgebern, Verantwortung zu übernehmen und Lösungen zu finden. Bei den KMU’s funktioniere es noch am besten. Oft seien Lösungen pragmatisch und akzeptabel. Die «grossen» Arbeitgeber dagegen entzögen sich immer mehr der Verantwortung. Das sei enttäuschend. Georges Pestalozzi fand klare Worte: «Es ist schwierig, eine Stelle zu finden. Wer während der Arbeit behindert wird, hat die Chance, dass der Arbeitsplatz angepasst wird. Wer keine Arbeitsstelle hat, ist dagegen praktisch chancenlos». Er befürchte, dass bei Annahme der Revision 6b über 50 % der Rentenbezüger auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein werden. Vielfach, so war aus dem Publikum zu hören, seien die IV-Stellen hinsichtlich der Behindertenproblematik oft mit völlig inkompetenten Mitarbeitenden besetzt und die Entscheide würden für Arbeitgebende unerträglich in die Länge gezogen. Marie-Thérèse Weber-Gobet pochte im Schlusswort darauf, dass diese Vorlage eine unnötige, unsoziale und ungerechte Sparmassnahme sei. Sie treffe vor allem schwerstbehinderte Menschen, die bereits am meisten benachteiligt seien.

Drei neue Mitgliedorganisationen
An der Delegiertenversammlung des SZB, die am Nachmittag stattfand, stimmten die Delegierten der überarbeiteten Härtefallklausel für ordentliche Mitglieder zu. Die Klausel defi niert die Bedingungen neu, unter denen ein ordentliches Mitglied vom Mitgliederbeitrag befreit werden kann. Zudem sagten die Delegierten Ja zu den Aufnahmegesuchen von drei Organisationen. Neues ordentliches Mitglied wurde die «Stiftung Taubblindenhilfe» (Zürich). Neue assoziierte Mitglieder wurden die «StiftungNetz» (Windisch) sowie der «Verein Lauftreff beider Basel» (Basel). Beim SZB angeschlossen sind somit aktuell 45 ordentliche und 21 assoziierte Mitgliedorganisationen.