A Fabrizio, Redaktorin tactuelLiebe Leserin, lieber Leser,

Ein afrikanisches Sprichwort besagt, «wenn ein Greis stirbt, verbrennt eine Bibliothek». Alte Menschen in Afrika gelten mit ihrer Lebenserfahrung als Mittler zwischen der Vergangenheit und Gegenwart. Sie werden wie grosse Bäume gesehen, voller Äste, Blätter und Früchte. Steigt man hinauf, sieht man bis zum Horizont, erkennt die Gefahren und auch das nächste Wasserloch. Ist es zu heiss, kann man in ihrem Schatten sitzen.

Weltweit steigt der Bevölkerungsanteil älterer Menschen rapide an. Die Weltkulturen nehmen sich dieser Menschen sehr unterschiedlich an. So reicht die Wertschätzung von Verehrung bis Missachtung. In der westlichen Welt gelten sie als alt, in anderen Kulturen als weise. Bei der Beurteilung von Menschen, Tieren und Symbolen wird oft kulturell unterschieden. Auch können sich Anschauungen im Laufe der Zeit innerhalb einer Kultur verändern. Eulen wurden in alten Zeiten gekocht und dienten Hexen als Zaubertrank für die Stärkung der Sehkraft. Heute gelten sie in der westlichen Welt als Vogel der Weisheit. In Indien dagegen zählen sie seit alter Zeit als dumm.

Im Westen müssen wir die Vielfalt, das Potential und die soziale Rolle des Lebensabschnittes nach der Pensionierung neu entdecken und lernen, ältere Menschen nicht mehr als ehemalige Erwachsene zu verstehen, sondern als die kostbare Ressource der Gesellschaft, die sie sind. Eines haben ältere Menschen in allen Kulturen gemeinsam. Ihre Sehstärke nimmt im Laufe der Jahre ab. Mit einem Anteil von 62 Prozent bilden in der Schweiz bereits heute die über 60-jährigen mit Abstand die grösste Gruppe sehbehinderter Menschen. Ein Drittel davon ist über 80 Jahre alt. Alleine durch
die demografische Entwicklung wird diese Tendenz weiter zunehmen. Die Situation älterer Menschen mit einer Sehbehinderung muss weiter untersucht werden und
auf allen Ebenen Beachtung finden. Neue Erkenntnisse müssen in der Berufsbildung und
Pflege einfliessen, damit im rehabilitativen Bereich alles unternommen werden kann, um das Leben sehbehinderter älterer Menschen weiterhin wertvoll zu gestalten. Diese Ausgabe von tactuel widmet sich vielerlei Aspekten der Sehbehinderung im Alter.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.
Antonietta Fabrizio, Redaktorin tactuel