Audiodeskription: Kinoleidenschaft wird teilbar

Seit 2011 können sehbehinderte Menschen im Rahmen des Projekts «Regards Neufs» Kinofilme ab ihrem Start in Schweizer Kinos mit Audiodeskription sehen.

von Denise Cugini

Seit einigen Jahren können sehbehinderte Menschen im Fernsehen oder auf DVD mithilfe von Audiodeskription in den Genuss von Filmen kommen. Der in der Förderung und im Vertrieb von Kurzfilmen aktive Lausanner Verein Base-Court lancierte im Herbst 2010 das Projekt «Regards Neufs».

Neue Erfahrung für Blinde und Sehbehinderte

Der Dokumentarfim „Home“ stiess auch dank Audiodeskription auf Begeisterung.
Bild: zVg

Der 2010 gezeigte Film «Home» von Ursula Meier stiess auf grosse Begeisterung. Finanzierungszusagen folgten. Und die Pathé-Gruppe, über die 70% der Filme in der Westschweiz vertrieben werden, wurde zum wichtigsten Partner. Um die Menschen in den kulturellen Alltag integrieren zu können, reicht es nicht aus, ihnen den Zugang zu Kultur zu ermöglichen und bestehende Schranken zu beseitigen. Eine optimale Integration setzt voraus, dass sie Kultur gemeinsam erfahren können. «Wenn sehbehinderte Menschen zwei Jahre warten müssen, bis sie im Fernsehen in den Genuss eines Films kommen, wird ein kultureller Graben geschaffen», so Bruno Quiblier, Leiter von «Regards Neufs», der pro Jahr fünf Spielfilme mit Audiodeskription anbieten möchte.

Eine weiteres Muss: dem Publikum zuhören und nicht einfach Annahmen treffen, die auf vorwiegend visuell geprägten Kinoerlebnissen basieren. «Es schien mir von Anfang an ausschlaggebend zu sein, die betroffenen Menschen direkt auf ihre Bedürfnisse anzusprechen», sagt Bruno Quiblier. Für einen blinden Menschen sind vor allem die Filmhandlung und nicht die rein dekorativen Rahmenelemente von Bedeutung. Natürlich soll auch nicht zu viel erklärt werden, denn ansonsten wird der Film unerträglich. In Frankreich sind akustische Beschreibungen heute bei jedem neu produzierten Film obligatorisch; deshalb kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen blinden und sehbehinderten Menschen und einer in Frankreich ausgebildeten Dolmetscherin.

«Regards Neufs» wird aber bereits im Vorfeld der Ausstrahlung neuer Filme aktiv. Es gilt nämlich, neue Filme, die in Frankreich mit Audiobeschreibung aufbereitet werden, ausfindig zu machen und dann die entsprechenden Kontakte für den Vertrieb in der Westschweiz herzustellen.

Audiodeskription in der Westschweiz
In der Theaterwelt wurden bereits einige Projekte realisiert. Aufgrund des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen und der Radio- und Fernsehverordnung vom 9. März 2007 muss die SRG SSR «einen angemessenen Anteil der Sendungen in einer für hör- und sehbehinderte Menschen geeigneten Weise aufbereiten». Für die Westschweiz bedeutet dies, dass 24 Fernsehsendungen pro Jahr oder mehr – sofern die finanziellen Mittel vorhanden sind – dementsprechend ausgestrahlt werden müssen. Cédric Herbez, Sendeleiter von TV RTS, meint: «Ich mag das Wort „müssen“ nicht, denn es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass alle in den Genuss unserer Programme kommen.» Auch hier werden sehbehinderte Menschen von Anfang an in den Entscheidungsprozess eingebunden und stehen der Agentur, welche die Audiodeskriptionen für das Fernsehen vornimmt, beratend zur Seite.

Es gibt aber noch viel zu tun. Gemäss Claudine Damay, zuständig für die Interessenvertretung beim SBV, findet vor allem dank des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) ein Gesinnungswandel statt. «Öffentliche Hand und Kulturvermittler sind heute empfänglicher für unsere Anliegen, insbesondere wenn wir konkrete Lösungen haben. Wir müssen unsere Anliegen nachvollziehbar und mit einer Stimme vorbringen, denn nur so kommen wir voran», erklärt sie. «Heute bin immer ich derjenige, der auf die Verantwortlichen zugeht, doch eines Tages wird es vielleicht einmal umgekehrt sein», schliesst Bruno Quiblier.

——————————————————————–

Audiodeskription im Kino

Drei Wochen vor dem Start eines Films mit Audiodeskription wird durch einen Jingle beim Trailer zum Film im Kinosaal darauf aufmerksam gemacht. Interessierte Personen erhalten über «Regards Neufs» ein entsprechendes Kinoprogramm. Weiter wird in der Pendlerzeitung 20 Minuten mittels eines Augen-Symbols darauf hingewiesen, dass es sich um einen Film mit Audiodeskription handelt. An der Kinokasse kann man gegen Abgabe eines Ausweises einen Funkempfänger mit Kopfhörer beziehen, den man am Schluss des Films wieder abgibt. Der Eintritt für die Begleitperson ist frei. Weitere Informationen finden Sie unter www.regards-neufs.ch/